Es ist Freitag. Der Himmel gibt sich mürrisch und unentschlossen: Es ist nicht richtig trocken, aber es regnet auch nicht, allenfalls nieselt es – je nachdem, wie weit man den Begriff „nieseln“ fasst. Auf einem Kaffeetisch in einem Wohnzimmer stehen zwei Aschenbecher, jeweils halb gefüllt mit Zigarettenstummeln. Dazu gesellen sich drei Gläser, in ihnen Flüssigkeiten verschiedener Brauntöne sowie eine Flasche Bier, grün; außerdem drei Schachteln Zigaretten, einmal Menthol, einmal Light, ein Softpack, normale Stärke. Unter dem Tisch lagern zwei Sechserträger Bier, die Flaschen ebenfalls grün sowie Korn, Cola und Rum. Rauchschwaden durchziehen die Luft, durch die Stereoanlage singt jemand auf halber Lautstärke von feurigem Koitus. Die Themen des Tischgesprächs war bisher eher unwichtig, es wurden Dozenten, Hausarbeiten und Beziehungen thematisiert. Auch die Nachbarn und einige Kommilitonen haben ihr Fett wegbekommen. Nun geht es aber um die Abendplanung, also ist Aufmerksamkeit zu zeigen – oder immerhin vorzuschützen. Da morgen eine große Party an den Start geht, bleiben nur wenige Optionen für heute und die Wahl fällt einfach. Das Etablissement du Soir ist vor kurzem unter neuem Namen wiedereröffnet worden und spielt heute 90’er. Abtanzen zu den Spice Girls und N*SYNC, das hört sich doch vernünftig an, ein Bierpreis von 6 Euro pro Liter ist außerdem nicht zu verachten, wenn der DJ zu viel Vengaboys spielt, kann die Musik immer noch schöngetrunken werden.

Nach drei kurzen Abstechern zu den Filialen der beliebtesten Kreditinstitute ist die Diskothek erreicht und auch das Fußpils leer. Vorm Club wird gerade die Fernwärme erneuert und die zur Wiederverkleidung aufgetürmten Backsteine bilden einigen Rauchern eine willkommene Sitzgelegenheit. Von draußen lässt sich schon der eine oder andere Kindergartenzeitklassiker erahnen und der Bass wummert angenehm in der Magengegend. Drinnen angelangt, schaltet der Mann am Mischpult einen Gang höher und legt Reimemonster auf. Wer jetzt nicht tanzen will, hat eine Spaßallergie und sollte dringend gegentrinken. Erstaunlich ist die Omnipräsenz dieses Tracks, fast unvorstellbar, dass er aus den 1990er Jahren stammt und nicht textlich im Ischtar-Tor vorzufinden ist. Gefolgt wird die nord-süddeutsche Kombination logisch schlüssig von Füchse oder auch dem Lied, das einfach auf jeder Party innerhalb des deutschen Sprachraumes, selbst Opas 90., einmal gespielt werden muss. Es soll rechtsnationale Studentenverbindungen geben, die Füchse direkt nach Die Wacht am Rhein anstimmen und sich dabei nichts denken, der Fuxmajor übernimmt klassischerweise Eißfeldts Part. Beck’s kostet heute, wie eingangs erwähnt, 2 Euro, ich mache mir gleich vor Aufregung ins Hemd.

Einige Stunden später ist auch das hellgrauste T-Shirt schwarz geschwitzt und der Raucherraum voll. Hans ist mit ein paar Freunden hier und er riecht wieder einmal so unverschämt gut nach Sauvage von Christian Dior. Gespräche führen in keine klare Richtung, die Musik ist gut, die Stimmung auch, das Bier günstig, aber irgendetwas fehlt. Die Freunde sind entweder nicht da oder gelten schon länger als verschollen, die Frischvergebene vor allem. Wie später bekannt wird, war sie die letzten zwei Wochen mit einer Mandelentzündung bettlägrig. Da auch heute keine Frau im Kieler Nachtleben unterwegs ist, die Camus‘ Der Fremde rückwärts im Original zitieren kann, lässt Hans nach einer weiteren Zigarette die Jacke kommen und haut ab. Zehn Lieder später wird kollektiv der Heimweg angetreten, vorbei an der Schlagerparty zwei Ecken weiter, die Treppe runter, durch den Torbogen, an der Bank in blau vor verschlossener Tür stehen, dann zu den Bayern von nebenan, mit einem Zehn-Euro-Schein bewaffnet auf halbem Wege den Berg hoch rechts eingekehrt und einen Döner (zwangsweise ohne Rotkraut) genehmigt, den dann noch vor Erreichen der eigenen Haustür weggeatmet. Auf dem Baumarkteinkaufswagen vor der Haustür im etwas stärkeren Nebel (Nieselregen ist stärker) die letzten beiden Zigaretten geraucht, hoch in die Wohnung um bis mittags zu schlafen – erfolgreicher Abend.

Im Bett dann langsame Überlegungen, zähe Gedankengänge zwischen hier und gleich, halbem Rausch und völliger Ernüchterung. Was meinte Bob Dylan damals mit der im Wind wehenden Antwort? Ist man als Küstenbewohner schlauer, weil einem die Antworten geradezu ins Gesicht fliegen? Morgen ist das eh wieder vergessen: Frage und Antwort.

Bildquelle: Wikimedia Commons

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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