Pessimismus – nicht mit Oma

Oma ist alt. Sie hat einiges durchgemacht. Mit einem Handwagen kam ihre Familie, die Zukunft war fern, der Moment nah. Oma hat es trotzdem geschafft und ist heute glücklich. Sie macht sich wenig Sorgen. Beim Kaffee kochen debattieren wir über die neuesten Meldungen, die aus dem Küchenradio klingen. „Noch nie gab es eine bessere Welt“, meint sie. ‚Alters-Naivität’ denke ich und lege das gepflegte Kaffeeservice aus den 60er- Jahren auf den Tisch. „Aber irgendwann muss es ja bergab gehen, das ist der Lauf der Dinge“, sprießt es aus mir heraus. Oma lacht. 

Mit Unverständnis hole ich das Messer aus der Schublade, um den Kuchen zu schneiden. In Gedanken überlege ich: Obwohl mir die Welt offensteht, verfalle ich ständig in Zukunfts-Pessimismus. Dabei geht es nicht um meine berufliche, familiäre oder persönliche Zukunft, sondern um die unserer Welt. Aktuelle Tagesmeldungen bewegen sich zwischen Kriegen, Klimakrisen und Unfällen. Es fällt innerlich schwer, die negativen Meldungen mit der Pfandpflicht für Milchflaschen aufzuwiegen. Wenn das Naturgesetz des Aufs und Abs existiert, dann wäre es Zeit für eine Steigung. 

Das deutliche „Beiseite, mein Junge, sonst gibt’s Tote“ meiner Kaffee-tragenden Oma degradiert mich vom zwischenzeitlichen Philosophen zum einfachen Bienenstich-Schlepper zurück. So sitzen wir also mit Kuchengabel im Anschlag am hölzernen Esstisch. Das nach dem Lachen beendet geglaubte Thema wurde durch ein verspätetes „Euch geht’s doch zu gut“ wieder entflammt. „Da hat sie recht“, denke ich und gieße mir einen Kaffee ein, welcher auch ohne Milch ‚Müde Männer wieder munter macht’. Der Kombination aus Bienenstich und acht gehäuften Löffeln Kaffeepulver geschuldet, beginne ich zu überlegen. 

Ist es meine Perspektive oder ist gar alles schlimmer? Ich kann das Bedürfnis des Menschen verstehen, etwas Bedrückendes anders sehen zu wollen. Sorgenfrei lebt es sich nun mal besser. Aber für eine Traumwelt sind die meisten auch nicht gemacht. Vielleicht ist es gar nicht die fehlende Zuversicht, sondern die Angst vor Veränderungen? 

Nachdem der erste Koffein-Schock vorüber ist und mein Herz nun den Ruhepuls von 110 als normal befindet, frage ich meine Oma: „Hast du jemals Angst vor Veränderungen gehabt?“ Nach einem langen Schluck erwiderte sie: „Nein, denn der größte Teil von Veränderungen ist positiver Natur.“ „Das klingt kitschig“, meine ich, doch irgendwie beruhigt es mich. Vielleicht darf ich meinem Pessimismus doch nicht den Wunsch erfüllen, ihn als Mitglied der Jugendkultur zu begrüßen. Ob es ihn gefreut hätte? Bestimmt, denn damit hätte er ja sowieso niemals gerechnet.  

Autor*in
Onlineredaktion

Karl ist 20 Jahre alt und studiert Geschichte sowie WiPo an der CAU. Er schreibt seit dem WiSe 23/24 für den Albrecht und ist zuständig für die Online-Redaktion.

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