Ein Kommentar zum Wochenende der Landtagswahl 

Die Luft ist stickig, was nicht nur an der Menschenmenge, sondern auch an der Spannung liegt, die sich an diesem Abend durch den Landtag in Kiel zieht. Es ist Sonntag und in einer Stunde werden die vorläufigen Ergebnisse der Landtagswahl in Schleswig-Holstein bekannt gegeben. Schon seit Tagen stehen LKWs mit den Logos der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender rund um den Landtag, das Medienaufgebot ließ sich schon vor diesem Wochenende erahnen.

Es ist was los in Kiel, sogar in der Innenstadt macht sich das bemerkbar: Wo normalerweise Einkaufende von Geschäft zu Geschäft huschen und sich ihren Weg um die Menschen herum bahnen, die vor den Bäckereien und Cafés sitzen, haben sich auch Musiker:innen und Wahlstände dazugesellt. Die Stadt zeigt sich auch von ihrer besten Seite, am Freitag und Samstag fand das Frühlingsevent Kiel blüht auf statt und so war die Innenstadt gefüllt mit Menschen, die das schöne Wetter, die Blumen und den Gesang genossen.  

Großer Endspurt vor der Wahl 

Die Rede von Scholz löste gegensätzliche Reaktionen aus /Bild: Eileen Linke

Nachdem am Freitag auch Olaf Scholz auf dem Rathausplatz eine emotional geladene Rede gehalten hatte – mit einem kontrastreichen, noch emotionaleren Publikum, das auf der einen Seite jubelnd Beifall klatschte und sich auf der anderen Seite mit Buh-Rufen die Seele aus dem Hals schrie – fand zuvor auch der Klimastreik der Fridays For Future-Bewegung statt. Eine Demo mit deutlich weniger Teilnehmenden als die Male zuvor, der lautere Protest war vor dem Rathaus und hatte nicht den Klimaschutz zum Ziel. Nächster Tag, wieder der Rathausplatz, dieses Mal die FDP. Christian Lindner kommt mit Verspätung zu seiner Rede vor einer kleinen Menge von Anhänger:innen, eine Handvoll Demonstrierende gab es dieses Mal auch, es wurden jedoch nur drei Schilder hochgehalten und geschrien wurde auch nicht.  

Samstagnacht treffen sich einige Parteien an der Bergstraßen-Kreuzung. Barwahlkampf wird auf der Straße betrieben, letzte Flyer werden verteilt, ein letztes Mal das Programm erklärt. Wer stehen bleibt, kann mit den Parteimitgliedern ein Bier trinken. Viele Passant:innen schienen aber nicht vorbeigekommen zu sein, es wirkte eher wie ein Anstoßen auf die vergangenen, stressvollen Wochen des Wahlkampfes und das Vorglühen für den nächsten Tag.  

Bienenstock, Messegelände, Landtag 

Mit diesen Eindrücken stehe ich am Sonntag vor dem Landtag und bin überrascht, wie ruhig die Stimmung von außen zu sein scheint. Vereinzelte Raucher:innen machen im Schatten der Bäume eine Pause, ab und zu betreten Abgeordnete und Pressevertreter:innen durch das Zelt der Security und die große Tür dasGebäude. Als ich selbst hineingehe, ist es mit der Ruhe aber fast vorbei. Das Erdgeschoss gleicht einer Messehalle, zwischen den Säulen haben Radio- und Fernsehsender Trennwände aufgestellt, sodass jeder einen eigenen Bereich mit Kameras, Lichtstrahlern und einem Tresen hat, an den sich später Politiker:innen für ein Interview stellen. Noch ist die Lage entspannt, hier und da wird noch aufgebaut.  

Links führt eine Treppe mit rotem Teppich nach oben und dort bietet sich mir ein anderes Bild: Am Absatz stehen Menschen und starren gebannt nach vorne, sie drehen sich nur um, um mit dem Zeigefinger an den Lippen das Zeichen für absolute Stille zu geben. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um herauszufinden, was alle beobachten und bin beeindruckt von den TV-Studios, bei denen gerade live gedreht wird. Auf beinahe stummgeschalteten Bildschirmen an der Wand können wir sehen, was die Menschen zuhause gerade auf ihren Fernsehern sehen können. In dem Flur davor schleichen Leute auf Zehenspitzen vorbei und kommunizieren nur mit Handzeichen oder flüstern einander zu. Dabei ducken sie sich unter Kameras weg, deren Klicken das einzig hörbare Geräusch ist.  

Eine weitere, aber dieses Mal unscheinbarere Treppe führt weiter nach oben zu noch unscheinbareren Gängen. Weiße Türen reihen sich an kahlen Wänden aneinander, nur Schilder oder vereinzelte Plakate verraten, dass sich dahinter die Büroräume der Parteien befinden. Hier darf wieder gesprochen, ja, sich ausgelassen unterhalten werden. Ich spüre die Anspannung und auch die Erwartung der Politiker:innen, die sich mit ihrer Anhängerschaft ebenfalls vor Fernsehern oder Leinwänden versammelt haben. Es dauert nicht mehr lange, bis die Ergebnisse bekannt gemacht werden und Kameraleute und Journalist:innen schieben einander hin und her, um die besten Plätze zu ergattern – die Gesichter der Freude oder Enttäuschung sollen gut eingefangen werden.  

Drei Etagen und drei verschiedene Welten 

Countdowns werden runtergezählt und dann wird jede Prozentzahl, die aus den Lautsprechern zu hören ist, mit Jubel oder Verstimmung begleitet. So unterschiedlich diese Zahlen sind, so unterschiedlich ist die Reaktion in den Räumen der Parteien. Bei einigen wird angestoßen, bei anderen stehen die Menschen nur verhalten an den Stehtischen.  

Unten werden nun der Reihe nach Politiker:innen in die TV-Studios geführt, immer begleitet von Personen mit Klemmbrettern und Headsets, die genau darauf achten, dass die Zeitpläne eingehalten werden. Und obwohl alles in Bewegung und Aufregung ist, spricht hier wieder niemand ein Wort. Eine absurde Szenerie, bei der die Stille nicht zu der angespannten Atmosphäre passt, die durch all das vermittelt wird.  

Wahlsieger Daniel Günther im Interview mit RSH an einem der Tresen der unteren Etage /Bild: Eileen Linke

Ganz anders sieht es im Erdgeschoss aus, ich gehe die Treppe wieder nach unten und finde mich in einem hektischen Gewusel wieder. Hier laufen Journalist:innen mit Kameras und Mikrofonen hin und her und versuchen dabei, nicht in die Liveschalten zu geraten, die mitten im Flur von Sendern aufgenommen werden. An den Tresen wechseln sich Politiker:innen ab, um ihre Statements zum Wahlergebnis abzugeben. Es gibt keinen Stillstand, es ist laut, das Summen aller Stimmen hängt im Raum.

Ab und zu geht eine synchrone Bewegung durch die Masse, wenn ein:e Bundespolitiker:in oder ein:e Spitzenkandidat:in mit schnellen Schritten zum nächsten Termin eilt. Dann folgen ihnen die Journalist:innen wie die Motten dem Licht. Alle versuchen, das beste Bild oder lieber noch einen Kommentar zu bekommen. Die Luft ist inzwischen schwül und schwitzig und ich genieße die Kühle des Abends, als ich wieder nach draußen trete. Ein Abend, an dem nicht die Politik entscheidet, was im Landtag passiert, sondern die Medien die Ansagen machen.  

 

Autor*in

Eileen studiert Soziologie/Philosophie und war von Januar 2022 bis Anfang 2024 Chefredakteurin. Sie leitete von Februar 2019 bis Anfang 2020 das Ressort für Gesellschaft. Danach war sie stellvertretende Chefredakteurin. Außerdem werden viele der Illustrationen im Albrecht von ihr gezeichnet.

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