Es mag seltsam klingen, doch das Spazierengehen ohne Handy, Begleitung oder Kopfhörer kann für viele ein Akt des Mutes sein. Wie auch für mich. 

Ein Sommerabend 2021 und an diesem Tag hatte niemand so richtig Zeit für mich. Nicht schlimm, dachte ich. Warum auch? Ich bin gern mal allein und brauche das sogar gelegentlich. 

Draußen war es warm und die Sonne stand tief am Horizont. Ich empfand es als zu schade, jetzt nur vor dem Fernseher zu sitzen, einen Film zu beginnen und dabei gleichzeitig unaufmerksam auf meinem Smartphone herumzutippen. Das Lernen für die Uni war selbstverständlich keine Option. Also ging ich los und ließ alles Elektronische zu Hause. 

Nur ich und Draußen. Die Vorstellung loszuziehen, umherzulaufen und mich mit mir selbst und meinen Gedanken zu beschäftigen, gefiel mir. In der Theorie. Doch die Praxis erwies sich als gar nicht mal so einfach. Denn ich hatte während meines Rundgangs zunehmend das Gefühl, dass die Menschen, an denen ich vorbeilief, mich bewerteten. Ich fühlte mich ihren Blicken ausgesetzt – schutzlos. Ich war dieses Mal nicht mit einem:r Gesprächspartner:in oder einem mobilen Endgerät bewaffnet. Je öfter ich einen Blick sah, umso mehr zog ich mich in mir zurück und versuchte, eben diese zu ignorieren. Niemanden anzusehen. Leider fiel mir das nicht leicht und ich entschied mich, kehrtzumachen. Ich konnte es nicht ertragen. Dieses sorglose Umherschlendern war nicht so sorglos, wie gedacht. 

Eine Wohltat oder mutig? Das alleinige Spazierengehen.

Der Prozess

Ich überlegte: Wenn es mir so erging, kennen andere dieses Gefühl sicher auch. Aber wieso fällt es uns Menschen so schwer, frei von jeder Ablenkung zu agieren? Sich wahrzunehmen. Tief in sich hineinzuhören und nur mit sich zu sein und nicht auf Mitmenschen zu achten. 

Und warum fielen mir die Blicke der Leute so verstärkt auf? Oder war dies nur meine eigene Wahrnehmung? Etwas, dass sich mein Kopf anstelle meines Handys gesucht hatte, um beschäftigt zu sein? Bin ich doch nicht die starke, selbstbewusste Frau, wie ich dachte? Ich traue mich eigentlich nicht, das Wort ‚Frau‘ zu schreiben, denn ich fühlte mich wie ein Mädchen. Fragen über Fragen. 

Das Hineinfühlen in andere und in mich selbst 

Was tat ich also? Mein Weg war es, mir vorzustellen, ob ich auch andere bewerte. Was denke ich, wenn jemand an mir vorbeigeht? Sitze ich da und maße mir ein Urteil über jemanden an, den ich noch nie gesehen habe und wahrscheinlich auch nicht noch einmal sehen werde? Wie lange nehme ich eine Person wahr, die an mir vorbeiläuft? Vielleicht fünf Sekunden. Und die Antwort auf all meine Fragen ist ja.

Ja, ich beurteile auch andere Menschen. Es ist aber nicht so schlimm, wie es klingt. Denn ich überlege oft ganz simpel, was dies wohl für ein Mensch ist. Ich interessiere mich dafür, was für eine Geschichte mit dieser Person einhergeht. Manchmal fällt mir auch nur ein Kleidungsstück auf, das ich mag. Es ist nie abfällig. Natürlich denke ich auch manchmal, wie eine Person nur genau diese Schuhe tragen kann, ich habe es aber nach wenigen Sekunden schon wieder vergessen. 

Mein Fazit

Ich brauche mir die Blicke meiner vorbeikommenden Weggefährt:innen nicht zu Herzen zu nehmen. Vielleicht mögen sie meine Bluse oder staunen über meine Größe. Vielleicht schauen sie aber auch nur, weil ich auch gerade vorbeiziehe und jede:r sich mit seiner:ihrer Umwelt und seinen:ihren Mitmenschen auseinandersetzt. 

Ich muss lernen, die Dinge positiv zu verstehen. Wieso sollten der Blick und die Bewertung negativ behaftet sein? Er kann doch genauso gut Anerkennung bedeuten.  

Das eigentliche Problem liegt also bei mir, wenn ich es überhaupt so nennen kann. Dass ich es nicht ertrage, nur für mich zu sein, liegt sicherlich in erster Linie an der ständigen Aussetzung von Reizen. Ich bin es nicht mehr gewohnt, kein Medium um mich zu haben und die Stille zu spüren, die eigentlich keine Stille ist. Ich bin es. 

Es ist die Gewohnheit und das fehlende Selbstbewusstsein in dieser Situation. 

Ich darf also nicht zu hart zu mir sein und entwickle mich weiter. Der eine Versuch hat nicht funktioniert. Also werde ich es wieder probieren, denn es ist etwas Neues für mich. Und ich sollte positiv gegenüber meinen Mitmenschen sein. Ihnen geht es sicher nicht anders als mir. Meinen Weg habe ich an diesem Tag abgebrochen, trotzdem konnte ich Positives mitnehmen. Und ganz ehrlich: Währenddessen habe ich genau das am wenigsten erwartet.

Autor*in

ist seit November 2020 Teil der ALBRECHT-Redaktion und hatte von 2021 bis 2022 den Ressortleitungsposten der Kultur inne. Seit WiSe 2020/21 studiert sie Deutsch und Soziologie.

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