Das Institut für Informatik verteidigt sich vor dem Bildungsausschuss

Fast ein Jahr ist vergangen, seit wir im Dezember 2022 über einige sexistische Vorfälle in der Informatik an der CAU berichtet haben. In der Zwischenzeit ist einiges passiert, so hat das Institut für Informatik zum Beispiel eine Task Force gebildet und lässt Dozierende Folien zeigen, die den Studierenden erklären, an wen sie sich wenden können. Auch einige andere Medien sind auf das Thema aufmerksam geworden, was dazu geführt hat, dass sich die Politik eingeschaltet hat. Im Juni hat SPD-Politikerin Sophia Schiebe die Vorfälle verurteilt und angekündigt, parlamentarisch dagegen vorgehen zu wollen.

Ein erster Schritt wurde nun getan, als die Problematik als erster Tagesordnungspunkt auf die Agenda des Bildungsausschusses des schleswig-holsteinischen Landtags gesetzt wurde. Die Abgeordneten des Ausschusses hatten Fragen, die ihnen das Institut für Informatik in einer Anhörung beantworten sollte. Am Ende ging es dabei aber vor allem um eine Sache: die Klarstellung, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handele und Sexismus nichts mit der Informatik an sich zu tun habe.  

Sophia Schiebe (SPD, Mitte) hat das Thema auf die Agenda des Ausschusses gesetzt

Ende September haben wir uns mit Susanne Hein, Karoline Liske und Yorik Hansen von der Informatik-Fachschaft getroffen und über die Entwicklungen der letzten Monate gesprochen. Susanne und Karoline haben auch im Dezember von den Problemen von Frauen in ihrem Studienfach erzählt (wenn ihr nachlesen wollt, worum es ging, scrollt zum Ende des Artikels). Yorik hat außerdem zusammen mit Lisa Anders im Namen der Fachschaft an der Sitzung des Bildungsausschusses teilgenommen. 

Die Task Force und Anti-Diskriminierungsworkshops 

Das Institut scheint direkt nach dem Bekanntwerden der Vorfälle einige Maßnahmen ergriffen zu haben. Dazu gehört die sogenannte und vielzitierte Task Force. Sie besteht aus Vertreter*innen aller hierarchischen Schichten der Informatik. Am 30. September ist die Task Force ausgelaufen, da ihr Bestehen von Anfang an zeitlich begrenzt war. Zu den Aufgaben der Task Force gehörte, schnell und akut Lösungen zu finden, daher die zeitliche Begrenzung.  

Eine dieser Lösungen sind die bereits genannten Folien, die den Dozierenden zur Verfügung gestellt werden und die sie am Anfang des Semesters in ihren Vorlesungen und Seminaren zeigen können. Auf den Folien sind Ansprechpersonen gelistet, an die sich Studierende wenden können, wenn ihnen etwas passiert ist. Allerdings sind Dozierende nicht dazu verpflichtet, diese Folien wirklich zu zeigen.

Das ist eine von den drei Folien, die den Dozierenden zur Verfügung gestellt werden. Auf dieser werden alle Ansprechpartner*innen innerhalb des Informatik-Instituts gelistet. Auf den anderen ist eine Liste mit anderen Anlaufstellen an der CAU und ein QR-Code, über den man zu einer Melde-Platform geleitet wird, auf der Beschwerden eingereicht werden können. /Folien: Institut für Informatik der CAU

„Manche nehmen sich die Zeit und gehen vernünftig über die Folien, verweisen sogar während des Semesters immer wieder auf sie“, erzählt Karoline. „Andere verlinken sie nicht einmal im Kurs.“ Die Fachschaft ist sich einig, dass die Folien nur ein Anfang sein können. „Sie sind besser als nichts. Genauso wichtig wäre aber auch irgendein Ansatz von präventiven Maßnahmen“, ergänzt Karoline.  

So ein Ansatz könnten Workshops sein, die Studierenden, HiWis und Dozierenden einen nicht-diskriminierenden Umgang miteinander beibringen sollen. Für die HiWis und Studierenden gab es bereits Workshops, die ohnehin von der CAU angeboten werden, wie der Kurs Schubladen im Kopf. Für einige HiWis war der Kurs verpflichtend, für andere nicht.

Allerdings kritisiert die Fachschaft, dass es sich bei dem Workshop nicht explizit um Sexismus dreht, sondern er eher allgemein gehalten ist und daher nicht unbedingt auf die Probleme in der Informatik zugeschnitten sei. Oft habe die Kursleitung auch gar nicht über die Situation der Informatik Bescheid gewusst. Für Dozierende und Professor*innen sollen demnächst ebenfalls Workshops stattfinden.  

Die Mail mit der Stellungnahme 

Das Informatik-Institut hat zwar direkt reagiert, allerdings macht es den Eindruck, dass in erster Linie Schadensbegrenzung betrieben wurde. „Nach dem Erscheinen des Artikels wurden die damalige Fachschafts-Vorsitzende und ich zu einer Direktions-Sondersitzung eingeladen, die nicht sonderlich produktiv war“, berichtet Karoline. „Es wurde darüber diskutiert, ob das Institut eine öffentliche Stellungnahme schreiben soll. Es gab die Befürchtung, dass das jedoch ein schlechtes Licht auf das Institut werfen würde. Ein Professor sagte sogar, dass es eher untypisch wäre, wenn wir so ein Problem nicht hätten, denn es sei ein kulturelles Problem in der Informatik und das nicht nur in Kiel, nicht nur in Schleswig-Holstein.“

In dieser Sondersitzung sei sich darauf geeinigt worden, eine E-Mail an alle Studierenden des Instituts mit der Stellungnahme zu schicken und während der Sitzung wurde vor allem über die Formulierung dieser gesprochen. „Am Ende kam trotzdem eine ganz andere Mail heraus und die Mail war nicht gut“, sagt Karoline. „Es gab ein Problem, was sie mit dem Artikel hatten: Von ihnen wurde es so aufgefasst, als ginge es nur um einen einzigen Dozenten. Von der Studierenden-Seite aus haben wir ihn alle so gelesen, dass es nicht nur um eine Person geht. Deswegen haben wir damals auch nie Namen genannt, denn es ging um das strukturelle Problem, nicht um einzelne Vorfälle, sondern um diese Regelmäßigkeiten.“ Susanne ergänzt: „Die Mail hat den Fokus sehr auf die Studierenden gelegt und dass sie das Problem seien.“  

Bild: Eileen Linke

Ähnliches erzählt Yorik aus der Sitzung des Studienausschusses. „Am Dienstag kam der Artikel raus und am Mittwoch gab es eine Sitzung des Studienausschusses, bei der der Artikel spontan auf die Tagesordnung gesetzt wurde“ sagt er. „Und da es diese ‚Schock-Stories‘ von dem masturbierenden Studenten gab, wurde sich sehr darauf fokussiert. Dozierende fragten sich, was sie in so einem Fall tun sollten. Und ich verstehe, dass das geklärt werden muss. Ich hatte aber das Gefühl, dass die Diskussion über das eigentliche Problem sehr schnell abgeebbt war, nachdem sie gelernt hatten, dass sie das Hausrecht haben.“

Die Fachschaft hätte sich gewünscht, dass von Anfang an die Dinge anders angegangen worden wären. „Es waren vor allem Reaktionen auf den Artikel, aber es wurde nur sehr wenig auf das eigentliche Problem eingegangen“, meint Susanne und Karoline sagt dazu: „Wenn Dinge genannt werden, die jetzt gegen den Sexismus unternommen werden, dann nur die, die es schon vor dem Artikel gab. Wie das Frauencafé oder den Frauenmarathon.“ 

Echte Prävention?

Der Frauenmarathon und das Frauencafé sind beides Veranstaltungen für Frauen* in der Informatik, organisiert durch die stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Technischen Fakultät, Pamela Fleischmann. Außerdem gibt es noch weitere Workshops, ähnlich wie der Schubladen im Kopf-Kurs, die aber vor allem für Studentinnen* ausgerichtet seien. Darunter Workshops für Körpersprache und Schlagfertigkeit, damit Frauen* lernen können, sich ‚besser’ in einem von Männern* dominierten Umfeld zu präsentieren und auf sexistische Kommentare zu reagieren, ohne sie zu nah an sich heranzulassen.

„Der Workshop wird als Idee des Instituts verkauft. Dabei wird er aus den Geldern eines Ideenwettbewerbes finanziert, den es schon vor dem Artikel gab. Und er wird komplett von Studierenden aufgezogen“, sagt Karoline. Was am Ende immer noch fehlt, sind die Maßnahmen, die tatsächlich eine Art der Prävention darstellen, denn es ist wichtig nicht zu vergessen, dass kein Workshop ein Problem lösen kann, wenn diejenigen nicht daran teilnehmen, von denen der Sexismus ausgeht.  

Das Institut muss sich erklären 

Am Donnerstag, den 5. Oktober findet sich der Bildungsausschuss zusammen. Für diese Sitzung musste ein größerer Raum angemeldet werden, denn es sind rund 30 Studierende, vor allem aus der Informatik, auf den Plätzen hinter dem Ausschuss zum Zuschauen versammelt. Das Thema Sexismus wird gleich als erstes besprochen. Da Sophia Schiebe den Antrag gestellt hat, bekommt sie zuerst das Wort. Sie stellt Fragen und verschiedene Personen aus dem informatik-Institut sollen diese beantworten. Neben den beiden Fachschaftsvertreter*innen Yorik Hansen und Lisa Anders, haben Vizepräsidentin und Beauftragte für Gleichstellung Dr. Cleophas, geschäftsführender Direktor des Informatik-Instituts Dr. Nowotka, Geichstellungsbeauftragte der Technischen Fakultät, Dr. Pfannschmidt und Frau Pollakowski, die Teil der Task Force war, Platz genommen.

Schiebe beginnt ihre Ansprache mit den Worten: „Unsere Hochschulen sind Spiegelbilder unserer Gesellschaft. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es dort auch zu sexistischen Vorfällen kommt.“ Vor allem sei es ärgerlich, dass dies nun in einem MINT-Bereich auftrete, da dort Frauen* eigentlich eher gefördert werden sollen. Sie interessiert daher vor allem, welche Prozesse seit Dezember auf den Weg gebracht wurden.  

Dr, Cleophas (re.) geht auf die Anmerkungen und Fragen der Fachschaft ein. /Bild: Eileen Linke

Dr. Cleophas antwortet zuerst. Ihr sei es gleich zu Anfang wichtig zu betonen, dass es nicht verwunderlich sei, dass dieses Problem in einem Bereich vorkomme, in dem mehr Männer* als Frauen* sind. Außerdem hätten andere Diversitäts- und Gleichstellungsbeauftragte an der Uni gesagt, dass dieses Problem sich auch durch alle anderen Studiengänge zieht – es sei also kein exklusives Problem für die Informatik, in der Informatik wurde es nur offensiver thematisiert und die Lücken in der Ansprechbarkeit gezeigt.  

Dr. Nowotka (re.) erklärt dem Ausschuss, wie das Institut auf die Vorfälle reagiert hat. /Bild: Eileen Linke

Danach ist Dr. Nowotka an der Reihe und mach deutlich, dass das Institut erst aus der Presse von diesen Vorfällen erfahren hat und klärt den Ausschuss über die unternommenen Schritte auf. Es sei direkt die Direktions-Sondersitzung einberufen und die Task Force gebildet worden. Aber er betont, dass letztere nicht aufgelöst wurde: „Niemand beendet die Task Force. Sie endet von selbst.“ Wichtig war ihm auch, mehrfach zu erklären, dass dieses Thema auf der Tagesordnung sei und bleibe, die Task Force zwar auslaufe, aber in irgendeiner anderen Form weiterlaufen würde und dass das anonyme Beschwerdeverfahren digitalisiert und verbessert worden sei.

Zählt hier schon der Wille?

Alle im Institut seien sich einig, dass etwas unternommen werden müsse, dass es aber schwierig wäre, den Professor*innen bestimmte Handlungen wie das Zeigen der Folien zu verordnen. Er verweist auf die Feedback-Buttons, bei denen Studierende online Rückmeldungen zu ihren Kursen geben könnten und die ebenfalls für solche Vorfälle genutzt werden können, bisher habe allerdings nur Feedback zur Qualität der Module stattgefunden. Im Vorgespräch mit der Fachschaft haben wir auch über diese Buttons geredet. „Ob das Feedback weitergeleitet wird, entscheiden die Profs. Und wenn das Problem eine Beschwerde bekommt, wird das Problem das nicht weiterleiten“, meint Susanne.  

Frau Pollakowski sagt über die Arbeit der Task Force und des Instituts, dass sie nur versuchen könnten, mit Trippelschritten zu arbeiten – „zwei Trippelschritte vor, einer zurück“ – aber am Ende hörte man von ihr ebenfalls den Satz, den alle Anwesenden zu Anfang ihrer Redebeiträge gesagt haben und bei dem sich alle einig sind: „Auch wenn wir jetzt, warum auch immer, durch die Presse geistern, dieses Problem gibt es überall an der Universität, überall in der Gesellschaft.“  

Lisa Anders (rechts) erzählt, wie die Studierenden die Maßnahmen des Instituts wahrgenommen haben. /Bild: Eileen Linke

Dem widerspricht Lisa Anders. Die Informatik sei weder ein Spiegel der Gesellschaft, noch sei es überraschend schade, dass dieses Problem im einem MINT-Fach auftrete: „Gerade, weil es ein MINT-Fach ist, ist es verstärkt zum Vorschein gekommen. Wir haben einen geringen Frauenanteil mit 23 Prozent Studentinnen* im ersten Semester und 15% im sechsten Semester.“ Außerdem liege nicht nur bei den Studentinnen der Anteil so niedrig, es gebe auch keine weiblichen Professorinnen* in diesem Studiengang – woraufhin sie Dr. Nowotka sofort korrigiert. Eine Professorin gäbe es schon.  

Was passiert jetzt?  

Bis zum Ende der Befragung geht es noch um einen Briefkasten im 13. Stock neben dem Prüfungsamt, der früher für Beschwerden benutzt werden musste und inwiefern dieser sinnvoll gewesen sei oder nicht. Dabei hat sich dieser Kasten inzwischen digitalisiert und es sind mehrere barrierefreiere Beschwerdewege bekannt. Wie genau aber der Sexismus in einem männerdominierten Umfeld bekämpft werden soll, wie eine Atmosphäre geschaffen werden soll, in der alle willkommen sind und sich alle wohlfühlen können und wie man die Informatik nicht nur digital, sondern auch sozial in das Jahr 2023 holen kann, darüber wurde wenig gesprochen.

Denn es sei ja ein gesellschaftliches Problem und so ist das halt in der Informatik. Aber es ist auf keinen Fall die Schuld der Informatik. Alle hätten bedauerlicherweise erst durch den ALBRECHT-Artikel davon erfahren und niemand zuvor mit ihnen darüber gesprochen. Und es könne sich ja nun besser beschwert werden, und vielleicht gebe es bald Workshops für Professor*innen. Und die Task Force wurde auf keinen Fall beendet. Und Folien könnten ja auch nicht immer gezeigt werden, denn manche Dozierenden lehren noch mit der Tafel. Und noch ein Gremium mehr würde die Dinge auch nicht unbedingt besser machen. „Aber wir werden eine Vorbildsrolle einnehmen, das ist unser Ehrgeiz“, verspricht Dr. Nowotka. Mehrmals.  

„Es hilft schon viel, dass wir so viel über dieses Thema sprechen“, sagt Lisa nach der Sitzung. „Wir reden kontinuierlich darüber und haben seit Dezember nicht damit aufgehört. Die Fachschaft sei weiterhin motiviert, Aufmerksamkeit zu schaffen. Von der Sitzung im Bildungsausschuss seien sie aber etwas enttäuscht. „Es sind mir keine präventiven Maßnahmen bekannt. Dafür hätte die Task Force länger arbeiten müssen, das ist aus unserer Sicht immer noch nötig“, meint Yorik.

Und Susanne verweist auf den Redebeitrag von Dr. Nowotka: „Wir werden Dr. Nowotka beim Wort nehmen, dass die Task Force in irgendeiner Form weitergeführt wird, mit Beteiligten aus allen Bereichen. Denn wir sind einer dieser Bereiche.“ Am Ende fasst Karoline das Bestreben der Fachschaft zusammen. „Wir haben kein Interesse daran, die Profs fertig zu machen oder die Uni schlecht dastehen zu lassen. Wir wollen nur ein besseres Klima für alle schaffen.“ 

Anmerkung der Redaktion 

Wenn es zu Sexismus kommt, ist es niemals die Schuld der Personen, die darunter leiden. Das ist uns bei dieser Diskussion zu kurz gekommen. Die Schuld liegt immer bei denjenigen, die sich diskriminierend verhalten. Es ist gut, dass es mehr Möglichkeiten in Zukunft gibt, Vorfälle zu melden. Der Fokus sollte aber darauf gelegt werden, dass alle wissen, dass so ein Verhalten nicht toleriert wird und Konsequenzen nach sich ziehen wird. Nicht darauf, dass sich mehr Betroffene melden, denn sie schulden uns weder das Teilen ihrer Erfahrungen, noch liegt es in ihrer Verantwortung, dass etwas unternommen wird.  

Wenn ihr noch mal nachlesen wollt, worum es im Dezember ging, kommt ihr hier zum ursprünglichen Artikel!

Autor*in

Eileen studiert Soziologie/Philosophie und war von Januar 2022 bis Anfang 2024 Chefredakteurin. Sie leitete von Februar 2019 bis Anfang 2020 das Ressort für Gesellschaft. Danach war sie stellvertretende Chefredakteurin. Außerdem werden viele der Illustrationen im Albrecht von ihr gezeichnet.

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