Wenn Essen Angst macht

Habt ihr diesen Spruch schonmal gehört? „Ich hab’ mich an xy überfressen. Das ess’ ich nie wieder!“ Was viele nur zum Spaß sagen, ist für mich traurige Realität. 

Ganz ‚normaler‘ Alltag

Ich sitze mit Menschen in einem Restaurant und wir bestellen uns etwas zu Essen. Eigentlich ein schöner Abend, denn Essen ist doch die zweitschönste Beschäftigung im Leben, oder? Nicht für mich. So Sätze wie „Boah bin ich satt, ich könnte platzen“ machen den meisten nichts aus. Aber falls doch, dann geht es euch genauso wie mir. Ich kriege bei dieser Aussage nämlich Angst. Angst, dass ich mich gleich auch so fühlen werde wie die Person.  

Hab’ ich vielleicht auch zu viel gegessen? War das Essen noch gut? Wird mir gleich schlecht? Was ist, wenn ich mich übergeben muss? Dieser Gedanke kann schon eine Panikattacke auslösen und ist bis heute das, woran ich immer noch am meisten zu ‚knabbern‘ habe: Emetophobie. 
Noch nie gehört? Da seid ihr nicht allein, denn Emetophobie, also die Angst vor Übelkeit und Erbrechen, tritt nach der Dresden Mental Health Study nur bei 0,1 bis 0,2 Prozent aller Deutschen auf. Hierbei eher bei Frauen als bei Männern. Emetophobie beginnt im Kindesalter, bei den meisten um das zehnte Lebensjahr. Die Betroffenen fürchten sich dabei vor allem vor dem eigenen Erbrechen, Übelkeit Dritter oder bloß das Geräusch oder auch nur Benennen von Erbrechen können zu Angst und Panikattacken führen. 

Drei Mahlzeiten am Tag – Muss das sein? 

Ich habe nie diese Diagnose von meinem Psychotherapeuten bekommen, aber die Symptome sind ziemlich eindeutig. Und mit einem Begriff fühle ich mich irgendwie abgesicherter. Emetophobie begleitet mich schon seit meinem 18. Lebensjahr, als sich meine Angststörung damals gezeigt hat. Es gab vermutlich auch einen Auslöser: die große Portion Nudeln nach dem Sport, die mich seither verfolgt. Manchmal fühlt es sich so an, als wenn ich damit ‚bestraft‘ wurde, ein Grundbedürfnis nicht normal stillen und genießen zu können und so wurde jede Mahlzeit für mich zur Qual. 

Ich habe meine Mahlzeiten pro Tag immer ganz genau geplant, damit ich wusste, ob ich mir Snacks zwischendurch bedenkenlos leisten konnte. Ich hab’ nie über mein Sättigungsgefühl gegessen, auch wenn es noch so lecker war und das ja auch absolut nicht schlimm ist. Für mich leider schon. Natürlich kommt es auch auf den Tag an. Mit welchem Gefühl bin ich wachgeworden, also wie gut kann ich heute mit dieser Angst umgehen? 

Wenn ein spontaner Essensbesuch bei Freund*innen und vor allem im Restaurant naht, kriege ich direkt Panik. Dann überlege ich, ob ich das heute schaffe. Es ist mir immer furchtbar peinlich, wenn ich mir nur was zu trinken bestelle oder eine Kleinigkeit. Manchmal auch gar nichts. Und dann habe ich Angst vor den Blicken und den Gedanken der anderen. Aber absagen will ich auch nicht. Ein Anker, an den ich mich klammern kann, sind einerseits meine Notfalltabletten gegen Panikattacken und ein Mittel gegen Übelkeit. Diese beiden Sachen hatte ich immer dabei und wenn es nur eine gedankliche Stütze ist, dass ich weiß, ich habe was für den Notfall. 

Einfach genießen

So habe ich mich vor nicht allzu langer Zeit jeden Tag gefühlt, aber heutzutage geht es mir damit schon besser. Ich habe mal gute, mal schlechte Tage, aber nur selten Panikattacken und bloß noch ein Mittel dabei. Dabei hat mir auch die fast fünfjährige Therapie und meine Beziehung geholfen, die mich unterstützt. Das Getränk nach dem Essen, sowohl auswärts als auch zuhause, fällt mir immer noch schwer. Aber auch wenn es beängstigend ist, fühle ich mich jedes Mal ein bisschen weniger unwohl.

Autor*in

Lisa ist 26 Jahre alt und studiert seit dem Wintersemester 20/21 Deutsch und empirische Sprachwissenschaft auf Fachergänzung. Seit November 2021 ist sie Teil der Redaktion und des Lektoratsteams und hat im Januar 2022 die Leitung des Lektorats übernommen.

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