Tschaikowskys Iolanta im Kieler Opernhaus

Der Vorhang hebt sich. In trübem Licht präsentiert sich eine Welt voller Dornenranken. Iolanta (Adèle Lorenzi-Favart) bewegt sich barfuß und mit ausgestreckten, tastenden Armen über die Ranken hinweg. Ihr goldenes Kleid, bestückt mit Rosen, fließt über die Bühne. Sie scheint zu ahnen, dass man ihr etwas vorenthält. Drei Ammen (Maria Gulik, Xenia Cumento und Tatia Jibladze) treten ins Bild ein, Iolanta betrachtet sie als ihre Freundinnen. Doch dies ist nicht im Sinne der Ammen, sie sind König René treu, Iolantas Vater (Matteo Maria Ferretti). Dieser will seine Tochter vor der bitteren Wahrheit – ihrer Blindheit – beschützen. Er würde alles dafür geben, dass seine Tochter das göttliche Licht erblicken könnte. Aber kann dem nicht so sein, will er sie vor dem Schmerz bewahren, den sie erführe, wenn sie wüsste, was ihr entgeht. Die Ammen legen Iolanta zur Ruh.

© Olaf Struck

Als anmutige Prinzessin hat Adèle Lorenzi-Favart das Mitgefühl der Zuschauer:innen sofort auf ihrer Seite. Da ist es schon fast schade, dass sie nun folgend mehr als eine halbe Stunde lang regungs- und tonlos auf der Recamiere im oberen Teil der Bühne verbringt, während die Geschehnisse im unteren Teil der Bühne weiter ihren Lauf nehmen. Die in einen schauderhaften Dornengarten und eine wohlig-warme Terrasse (die eher einem herrschaftlichen Gemach ähnelt) geteilte Bühne, vergrößert die Spielfläche der Darsteller:innen ungemein und bietet Platz für die Untermalung der Gefühlswelten ihrer Figuren.  

Von Angst regiert 

Des Königs letzte Hoffnung ist der maurische Arzt Ibn-Hakia (Alexey Zelenkov). Doch dieser erklärt, Iolanta müsse von ihrer Blindheit wissen und den inneren Wunsch nach dem Sehen verspüren, um eine Heilung zu ermöglichen. König René schließt dies vollkommen aus. Selbst wenn es Iolantas Leben positiver gestalten würde und er sie nicht mehr vor der Welt und ihrem Verlobten Robert (Samuel Chan) verstecken müsste, ist ihm die Unwissenheit seiner Tochter ein höheres Gut. Der Arzt gewährt ihm eine Bedenkzeit, bevor er abreisen würde. Sobald Matteo Maria Ferretti als König René im Pelzmantel die Bühne betritt, herrscht er über ebendiese und seine Co-Darsteller:innen. Sein tiefer Bass-Bariton füllt den Saal und die Zerrissenheit des Königs Herzen zwischen dem beschützenden und dem hoffenden Vater liegt ihm eindrucksvoll in der Stimme.  

© Olaf Struck

Werden Wünsche wahr?

René und seine Gefolgschaft verschwinden von der Bühne. Dann kommen Sie, zwei Männer, zwei Freunde, verirrt in der Wildnis. Robert, der Versprochene Iolantas und sein Freund Vaudémont (Ragaa Eldin). Robert und seine Verlobte waren einander schon als Kinder versprochen worden, doch haben sie sich noch nie getroffen. Er möchte die Verlobung lösen, um seine große Liebe zu heiraten. Vaudémont hält nicht viel von Roberts Traumfrau. Voller Leidenschaft und Inbrunst skizziert der Tenor Ragaa Eldin, wonach es seine Figur verzehrt: Ein unschuldiges, zartes Geschöpf, dass ihn verzaubere und ihm seine Liebe schenke. Beim Erkunden des Anwesens passiert es dann. Vaudémont findet die schlafende Iolanta und verliebt sich schlagartig in sie. Sie erwacht und ein zärtliches Schauspiel entsteht zwischen den Beiden. Als Vaudémont Iolanta um eine rote Rose bittet und sie ihm nur weiße bietet, erkennt er ihre Blindheit. Er erzählt ihr vom Sehen und vom Licht. Iolanta preist die von Gott geschaffene Welt außerhalb des Sehens, ist zugleich aber auch gespannt, was Sehen und Licht denn seien.  

So führt die Liebe zum Licht 

Ein Fremder, der seiner Tochter von ihrer Blindheit erzählt. Der König ist entsetzt und droht Vaudémont mit dem Tod, falls Iolantas Behandlung, für die er sich nun doch entschieden hat, nicht anschlägt. Ibn-Hakia beginnt mit der Behandlung. Währenddessen lösen sich im Garten die verstrickten Liebesverhältnisse zum Guten hin. Das Gespräch wird durch frohe Kunde unterbrochen. Iolantas Heilung sei vollzogen. Sie regt sich auf der Terrasse, bittet den Arzt ihr erneut das Licht zu zeigen, was sie soeben sah und welches Videograph Fausto Morales Gil per Beamer auf das gesamte Bühnenbild strahlen lässt. Moderne Leuchtschriften und blitzende Lämpchen, die an Reklame in Las Vegas erinnern, lassen die Zusehenden an Iolantas überwältigenden Eindrücken teilhaben. Diese neue Welt des Lichts birgt viel Unbekanntes für die Protagonistin. Sie erschrickt vor ihren Liebsten, doch das kurzweilige Schließen ihrer Augen bringt die einstige Vertrautheit zurück. So endet das Stück mit Iolanta, als Sehende im Reich des Lichts, doch als Blinde für das, wer sie ist. 

Kurzweilig und emotional 

Das Kieler Opernhaus inszeniert in dieser Spielzeit die Oper Iolanta unter der dramaturgischen Leitung von Dr. Waltraut Anna Lach. Regie führt Carlos Wagner. Pjotr Tschaikowsky (1840–1893) schaffte gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Modest (1850–1916), welcher das Libretto verfasst hat, ein Auftragswerk der Direktion der Kaiserlichen Theater, das am 18. Dezember 1892 zusammen mit dem Ballett Der Nussknacker am Mariinski-Theater St. Petersburg seine Uraufführung erlebte. Sie ist die letzte Oper Tschaikowskys und umfasst nur einen Akt. In kurzweiligen 90 Minuten spielen sich die neun Szenen auf der Bühne ab.

Die Darsteller:innen wirken vertraut, nicht fremd oder gar sich gegeneinander profilierend. Es steht ein ausgewogenes Ensemble auf der Bühne, das durch ein wahres Miteinander bestimmt ist – bei aller hierarchischen Distanz der Figuren. Es lässt das Publikum die Emotionen und den Zwiespalt, in dem sich alle befinden, nachfühlen. Das Philharmonische Orchester und der Opernchor runden die Inszenierung gekonnt ab. Daniel Carlberg führt sein Ensemble mit Leichtigkeit und Eleganz durch Tschaikowskys Partituren. Gleich zwei Harfen untermalen den paradiesischen Garten. Die Musiker:innen spielen wie gewohnt allesamt auf höchstem Niveau. Wer sich der Inszenierung hingibt, kann sich an einem atemberaubenden Opernerlebnis erfreuen.

Autor*in

Maria studiert Psychologie, Philosophie und Informatik und ist seit 2022 Teil der ALBRECHT Redaktion. Im Zeitraum von Januar 2022 bis Januar 2024 gestaltete sie den Weißraum, unsere Kreativ-Seite im Print.

Autor*in
Chefredakteur

Finn ist seit Februar 2024 Chefredakteur des ALBRECHTs. Zuvor hat er ein Jahr lang das Kulturressort geleitet. Er studiert seit dem Wintersemester 20/21 Englisch und Geographie auf Lehramt und ist seit dem WiSe 22/23 Teil der Redaktion.

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