Wer Opfer von K.o.-Tropfen wurde, spricht selten darüber. Noch immer ist es ein Tabuthema. Noch immer ernten Betroffene mehr Unglaubwürdigkeit als Verständnis. Und dabei handelt es sich um eine unterschätzte Gefahr, die das Leben komplett auf den Kopf stellen kann. Diese Erfahrung hat auch Susanne H.* machen müssen.

Es war 2011, an einem Abend nach Weihnachten. Susanne und ihre Freundin wollten feiern gehen, tanzen, lachen, unbeschwert sein. In einer Kieler Disko trafen sie sich mit weiteren Freunden, gingen an die Bar. „Wir genehmigten uns drei bis vier Kurze. Nicht alle schnell hintereinander, sondern immer mal wieder zwischen Gesprächen in der Gruppe. Alsbald ging ich mit meiner Freundin auf die Tanzfläche. Und dann wird die Erinnerung auch schon lückenhaft. […] Das war der Zeitpunkt, wo ich gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt“, sagt sie. Sie fühlte sich betrunken, verliert die Kontrolle über sich und ihren Körper und will nur noch nach Hause.

Die Tropfen sind geruch- und farblos, oft ohne Beigeschmack.

Die Ereignisse, die Susanne schildert, sprechen für den Einsatz von K.o.-Tropfen, da in ihrem Fall weder Trunkenheit noch körperliche Beeinträchtigungen diesen Effekt bewirkt haben können. Der chemische Stoff GHB (Gamma-Hydroxy-Buttersäure) oder auch ‚Liquid Ecstasy‘ genannt, wird häufig in der Kneipen- und Partyszene zur Betäubung eingesetzt und im schlimmsten Falle zur Vergewaltigung benutzt. Die Tropfen sind geruch- und farblos, oft ohne Beigeschmack. In ein Getränk gemischt, verursachen sie innerhalb kürzester Zeit Übelkeit, Schwindel und Willenlosigkeit. Die Betroffenen fühlen sich extrem betrunken, auch wenn sie nur wenig Alkohol konsumiert haben. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer stark eingeschränkten Beweglichkeit bis hin zur Bewusstlosigkeit. Das Schlimmste für die Opfer ist jedoch der teilweise bis vollständige Erinnerungsverlust.

So erging es auch Susanne. „Meine Erinnerung setzt erst wieder am nächsten Mittag ein und zwar bei meinen Eltern auf der Couch.“ Sie weiß nichts mehr von dem, was in der Zwischenzeit geschehen ist. Mit Hilfe ihrer Freunde und Eltern rekonstruiert sie, dass sie mit dem Taxi heimgefahren sein muss, da Geld aus dem Portmonee fehlte, und schließlich von einem Pärchen auf der Treppe vor ihrem Haus gefunden wurde – ohne Jacke und Schlüssel. Das Paar brachte sie in eine Bar und kontaktierte ihre Eltern. „Aber es fehlten circa zwei Stunden, in denen mich niemand gesehen hat. Bis heute weiß ich nicht, wo ich in diesen zwei Stunden war. Aber in zwei Stunden kann vieles passieren.“

Alles was ich weiß, ist, dass ich nicht vergewaltigt wurde.“

Susanne entschied sich, ins Krankenhaus zu gehen. Doch in der Uni-Klinik angekommen, erfuhr sie Ernüchterung. Weder andere Patienten, denen sie davon erzählte, noch das Klinikpersonal nahm ihre Ängste ernst. „Mir wurde gar nicht erst geglaubt. Meine Gedanken kreisten“, erzählt Susanne. Einer gynäkologischen Untersuchung unterzog sie sich trotzdem, mit einem Ergebnis, dass ihr etwas Erleichterung verschaffte: „Alles was ich weiß, ist, dass ich nicht vergewaltigt wurde. Und das ist die Hauptsache. Heute denke ich mit sehr gemischten Gefühlen über das Geschehene.“

Viele Opfer von K.o.-Tropfen wagen den Schritt nicht, sich untersuchen zu lassen oder gar Strafanzeige zu stellen. Zu einem hohen Schamgefühl und eigenem Schuldempfinden kommt hinzu, dass die Substanz schwer nachweisbar ist und innerhalb von zwölf Stunden vom Körper abgebaut wird. Daher gibt es kaum Strafanzeigen und keine Statistik. Die Dunkelziffer dagegen ist sehr hoch. Weiterhin ist GHB zwar seit 2001 dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt und die Verabreichung somit strafbar, die Vorstufe GBL (Gamma-Butyrolacton) ist jedoch frei verkäuflich.

Nie das Glas unbeobachtet lassen

Susanne ist heute vorsichtiger, wenn sie sich in Diskotheken Getränke bestellt: „Wie in diese Mini-Gläser Tropfen reingeschmuggelt wurden ist mir bis heute ein Rätsel. Also lasse ich da lieber die Finger von.“

Um dem Vorzubeugen, sollten Gläser nicht unbeobachtet stehen gelassen werden. Vorsicht ist stets geboten, denn die Täter können auch Bekannte sein. Bei Unwohlsein Freunde oder Personal ansprechen und den Ort verlassen. Falls der Verdacht aufkommt, Opfer von K.o.-Tropfen geworden zu sein, unbedingt einen Arzt aufsuchen und die Polizei alarmieren. Weitere Hilfe bietet beispielsweise auch die Frauenhelpline Schleswig-Holstein unter der Telefonnummer 0700/99911444.

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