Kinokatze: Heartstopper

Seine beste Freundin versuchte lange, ihm diese Graphic Novels anzudrehen, diese spezielle Buchreihe, die sie nicht mehr losließ. Nachdem Joe endlich dem ersten Buch eine Chance gab, war kein Halten mehr: Die Story berührte Joe Locke und er wurde Teil der großen Heartstopper Fanbasis. Als bekannt wurde, dass der Bestseller von Alice Oseman auch die Herzen von Serienjunkies stoppen soll, bewarb sich Joe bei einem offenen Casting. Er ließ tausende Bewerber hinter sich und konnte eine Hauptrolle in der Serienadaption von Heartstopper übernehmen. Der Junge von der Isle of Man wurde über Nacht zum Star. 

Der damals 17-jährige Joe Locke verkörpert Charlie Spring, einen offen schwulen Schüler einer britischen Jungenschule. Die Autorin Oseman erzählt jedoch keine klischeehafte Geschichte zahlreicher Mobbing-Eskapaden rund um die Sexualität des Teenagers. Vielmehr liegt der Fokus auf Charlies Love Interest, dem sportlichen Nick mit seiner großen Golden-Retriever-Persönlichkeit. Nach dem ersten „Hi“ als Begrüßung geraten die Herzen von Zuschauer:innen und Charlie erstmals ins Stolpern. Kleine Comicblätter schwirren als Erinnerung an Osemans Buchvorlage durch den Raum. Etwas ist in der Luft und dennoch ist Charlies bester Freund Tao der festen Überzeugung: Heterosexueller als Nick kann ein Mensch kaum wirken. Von dem Rugbyspieler mit seinem fragwürdigen Freundeskreis sollte Charlie sich um jeden Preis fernhalten.

Aus zwei Welten?

Nick und Charlie werden trotzdem schnell dicke Freunde und Nick spürt, wie seine Welt sich ein Stückchen wandelt. „Why am I like this?”, singt Orla Gartland stellvertretend für den Rugbystar der Schule, der hinterfragt, wie sehr das Stereotyp des ruppigen Sportlers ihn definiert. In einem Gespräch mit einer Kindheitsfreundin fragt Nick: „Kennst du das Gefühl, dass du Dinge nur tust, weil alle anderen sie auch tun? Du Angst hast, dich zu verändern oder etwas zu tun, was die Leute verwirren oder überraschen könnte? Als wäre deine Persönlichkeit lange Zeit in dir vergraben gewesen?” Oseman stellt mit ihrem Charakter Nick auf sensible Art die Suche nach queerer Identität dar. Nick beweist, dass keine Charaktereigenschaften, Hobbies oder äußere Umstände davon abhalten sollten, zu sich selbst und der eigenen Orientierung zu stehen. Besonders in Momenten, in denen Nick seine wahre Persönlichkeit immer mehr durchscheinen lässt, ist es wichtig, vorsorglich die Tränendrüsen aufgefüllt zu haben. Die vielen Nebencharaktere sind liebevoll gezeichnet, sodass schnell ein Gefühl von Zugehörigkeit zu Charlies Freundeskreis entsteht. Gemeinsam trotzen die Freund:innen allen Widerständen und dem Unverständnis ihrer Queerness. Eine sehr bewegende Nebengeschichte spinnt sich um Charlies Freundin Elle, die von der Jungenschule an die Mädchenschule Higgs wechselt. Mit Elle gibt es endlich ein Vorbild für andere Filme und Serien, da hier Transsexualität nicht als Portrait für Tragik herhalten muss. Im Gegenteil: Sie ist die lebensfrohe Freundin, die endlich ihren Platz in der Welt manifestieren kann.  

Vom Blättern zum Bingen 

Wichtig für den enormen Erfolg von Heartstopper – die Serie war immerhin in 54 Ländern in den Bestenlisten von Netflix aufgeführt – war sicherlich auch der ausführliche Castingprozess. Trotz der coronabedingten Verkürzung der Castingzeit von sechs auf zwei Monate war es überraschenderweise möglich, mit Oscarpreisträgerin Olivia Colman beinahe beiläufig weitere Herzstopp-Akzente zu setzen. Oseman war es sehr wichtig, Darsteller:innen möglichst dicht an ihrer Zeichenvorlage zu casten. Immerhin handelt es sich bei der Originalfassung um Graphic Novels, also Comics im Buchformat. Der Hauptcast besteht überwiegend aus Schauspieler:innen unter zwanzig Jahren und schafft damit ein weiteres authentisches Moment. Auch, dass alle Beteiligten sich zur LGBTQ+-Community zählen und als Darstellerin von Elle die Trans-Aktivistin Yasmin Finney gewonnen werden konnte, bedeutet einen großen Gewinn für die Serie.  

Glücklicherweise fühlt der Junge von der Insel sich in London wohl, denn auf Joe Locke wartet noch einiges an Arbeit: Netflix und Oseman haben bereits die Dreharbeiten für zwei weitere Staffeln betätigt. Genug Material liegt schon bereit. Schließlich wurden bisher nur die ersten beiden Bände in den acht Folgen abgebildet. Drei weitere warten noch auf ihre filmische Umsetzung. 

Heartstopper ist eine Serie, die jede queere Person in ihrer frühen Jugend verdient. Die Akzeptanz der Andersartigkeit und der umarmend-positive Freundeskreis von Charlie wärmt die Seele und lässt beizeiten wehmütig werden. Oseman hat mit ihren Charakteren einen Safe Space geschaffen, in den Zuschauer:innen in jeder Folge hineingezogen werden. Klar, Kissen-über-die-Augen-und-Ohren-Momente gibt es auch in dieser Serie, denn ganz bleiben Mobbing und sexuelle Übergriffe nicht aus. Aber für die sanfte Entwicklung von Nicks Identität, Charlies Entdeckung, dass ihm echte Liebe zusteht und der Bildung eines ganz außergewöhnlichen Freundeskreises lohnt sich das emotionale Auf und Ab. 

Heartstopper ist eine Serie für 

  • Menschen mit starkem Herzmuskel und vollen Tränendrüsen.  
  • Alle Fans von dreißig-Minuten-Folgen oder Sex Education, Atypical und Modern Love
  • All jene, die Schwierigkeiten haben/hatten, ihre sexuelle Identität zu finden. Diese Serie macht Mut und gibt dir die feste Umarmung, die du gerade nötig hast. 

Kinokatzenpunkte 9 von 10. 

Hier geht es zur frei verfügbaren Graphic Novel:

https://tapas.io/episode/444220

Autor*in
Ressortleitung Kultur

Lena studiert Deutsch und Englisch und ist seit November 2020 Teil der Albrecht-Redaktion. Sie schreibt gern Kultur-Artikel und leitet seit Januar 2024 das Kultur-Ressort.

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