David Bowies Musical Lazarus am Kieler Schauspielhaus

Ein Engelsmädchen verschwindet im Schrank, Elly und Michael erscheinen in Newtons Zimmer, die Kühlschranktür wird zugeknallt – zurück ins Hier und Jetzt. Noch angeschwipst liegt das Alien Newton träge auf seinem Bett. Ein Tag wie jeder andere für das Alien und seine Assistentin Elly, die sich fürsorglich um den Gin- und Süßigkeitenfanatiker kümmert. 

Das Musical Lazarus findet Anschluss an den 1976 entstandenen Film Der Mann, der vom Himmel fiel, in dem Bowie die Hauptrolle spielte. Von seinem Mitwirken am Film inspiriert, entschloss sich der Künstler mit Lazarus einen eigenen Ableger des Stoffes zu schaffen. Kurz vor seinem Tod im New York Theater uraufgeführt, findet es nun seinen Weg in das Schauspielhaus Kiel.  

Das Alien Thomas Newton (Marko Gebbert), das einst auf der Erde strandete, sieht keine Möglichkeit mehr, zu seinem Heimatplaneten zurückzukehren, bis ein mysteriöses Mädchen (Eva Kewer) erscheint und für ihn die Inkarnation der Hoffnung darstellt. Doch wäre da nicht der manipulative Valentine (Mischa Warken), der Newton auflauert. Stets begleitet von seinen drei Helferleins, den ‚Teenage Girls’ (Juliane Neu, Janice Rudelsberger und Nina Vieten) wickelt er Newtons Hoffnungsträger*innen mit seinem Charme um den Finger und stiftet überall Seelenschmerz. Eine dieser Hoffnungsträger*innen ist beispielsweise seine Assistentin Elly (Jennifer Böhm), die bei ihm aus ihrer Einsamkeit heraus eigentlich nur Bestätigung und Liebe sucht, während sie unter ihrer persönlichen Existenzkrise leidet. Aber auch sein Freund Michael (Imanuel Humm) und das junge Pärchen (Nina Vieten und Rudi Hindenburg) vermitteln dem Publikum eine Message der Hoffnung durch ihre jugendliche Liebe. 

Das Mädchen (Eva Kewer) und Newton (Marko Gebbert) © Olaf Struck

Immer noch heimgesucht von früheren Geistern, die Newton an das irdische Leben binden wollen, steckt das Alien nun in einer seelischen Zwickmühle zwischen Hoffnung und Verzweiflung fest. Welches Leitmotiv die Oberhand über seine Zukunft gewinnt, bleibt eine Frage von Realität oder Illusion.  

Dies veranschaulicht die multidimensionale Inszenierung durch die Nutzung der verschiedenen Bühnenebenen. Die Produktion arbeitet mit Schattenelementen, Videoübertragungen, Raumaufteilungen und bedeutungsreichen Farbkontrasten. Das beschränkte Repertoire an Requisiten und Schauplätzen lässt nicht nur eine mühelose Nachverfolgung der Handlung zu, sondern wird auch genial durch Projektionen erweitert und unterstützt. Ebenso liefern die digitalen Bild- und Videosequenzen während der Songeinlagen ein harmonisches Gesamtbild, das die Zuschauer einlädt in eine Szene zu versinken und sich gemeinsam mit den Charakteren auf ein Abenteuer zu begeben. 

Eine wichtige Rolle kommt dem halbtransparenten Vorhang zu, der nicht nur als Leinwand, sondern auch als Dimensionsteiler fungiert. Ebenfalls achtet man darauf, den Aspekt der Livemusik nicht aus den Augen zu verlieren. Die Instanz der musikalischen Inszenierung, auch wenn sie auf der Bühne im Hintergrund situiert ist, ist nicht weniger atemberaubend als der Gesang und die darstellerische Leistung des Ensembles. Die Live-Band unter der Leitung von Jonathan Wolters erweckt innerhalb von circa 90 Minuten 17 Songs von Bowies Vermächtnis klangvoll wieder zum Leben. So ist das Stück voll mit Bowie-Hits, von denen man zum Mitnicken verleitet wird. Klassiker wie Changes, All the Young Dudes und Heroes dürfen natürlich auch nicht fehlen und sorgen für eine melancholisch-nostalgische Atmosphäre. 

Charaktere wie Newton, der gestrandet auf der Erde und von jeder Hoffnung verlassen ist und genau das in seinen Gesangseinlagen vermittelt oder Valentine, der mit Valentine’s Day nicht nur die Figuren, sondern auch die Zuschauer in seinen Bann zieht, machen das Stück zu einem unvergesslichen Erlebnis mit unermesslichen Interpretationsspielraum.  

„Ich bin ein Sterbender, der nicht sterben kann.“

Thomas Jerome Newton in David Bowie’s Musical Lazarus

Die von Bowie ausgewählten Songs repräsentieren nicht nur seine Diskographie, sondern verleihen dem Stück ein Ambiente und untermalen die bewegende Geschichte, die zum Mitlachen, Mitweinen und vor allem Mitfühlen einlädt. Die Darsteller erwecken die Inhalte der Songs auf begeisternde Weise zum Leben und liefern damit nicht nur eine Hommage an David Bowie, sondern auch ein besonderes Geschenk an die Zuschauer.   

Nicht nur das unmittelbare Spiel beeindruckt mit seinem Facettenreichtum, sondern auch die Kostüme, die bei genauem Hinsehen mehr über die Charaktere verraten, als man zu Beginn erahnen könnte. So nehmen die Farben Weiß, Schwarz, Rot und Blau einen besonderen Stellenwert ein und liefern mit ihrer übergreifenden Bedeutung ein tiefes Verständnis für die dargebotene Geschichte.            

Lazarus – ein Stück, was von vielschichtigen Kontrasten lebt, was nicht zögert, zwischen verschiedenen Dimensionen wie Traum und Realität zu springen, und das dennoch immer ein klar nachvollziehbares Ziel anstrebt: gen Himmel, zurück zu Newtons Heimatplaneten. 

Es lohnt sich, sich auf diese spannende Reise einzulassen und genau hinzusehen, denn Bowie und seine Kreationen waren und bleiben Kunstwerke der Inszenierung.  

Weitere Vorstellungen finden am 20.12., 26.12., 30.12., 06.01, 13.01. und am 21.01. statt. 

Autor*in

Franziska studiert Germanistik und Anglistik und ist seit dem Oktober 2023 beim Albrecht. Sie ist Teil des Lektoratsteams und schreibt vorwiegend in der Kultur.

Autor*in

Magdalena ist 19 Jahre alt und studiert Kunstgeschichte und Französisch im Profil Fachergänzung. Sie ist seit Beginn des Wintersemesters 2023 beim Albrecht dabei.

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