Have a look around. Anything that brain of yours can think of can be found. Es erscheint nur richtig, sich hier dem Text von Bo Burnhams Song Welcome to the Internet zu bedienen. Denn so viel ist klar: Im Internet kann wirklich alles gefunden werden. Filme, Musik, Informationen und zu einem großen Teil, zumindest für mich, Geschichten. 

Geschichten sind etwas Fantastisches. Märchen von Prinzen und Prinzessinnen, Bücher über zauberhafte Parallelwelten und Erzählungen von wirklichen Menschen und wahrhaftigen Geschehnissen bieten Abwechslung vom eigenen Leben, eine Chance, für einige ruhige Momente am Tag in einer anderen Welt zu verschwinden. Und wenn das Bücherregal geplündert ist und nichts Neues mehr hergibt, gibt es nur einen Ausweg: Fanfiction.

Das Internet ist voll von kleinen und großen Geschichten aus jedem nur vorstellbaren Genre. Texte, geschrieben von Fans für Fans. Dabei bedienen sich diese Autor:innen häufig bereits bestehender Figuren aus Film, Literatur oder der generellen Medienwelt, und spinnen neue, mal mehr und mal weniger fantastische Erzählungen rund um bereits bekannte Charaktere, Welten oder Konzepte. Der Nebencharakter aus einem Lieblingsfilm verdient es, seine Geschichte erzählt zu bekommen? Wie wäre das Lieblingsbuch ausgegangen, wenn nur eine Sache anders verlaufen wäre? Was passiert wohl nach dem Staffelfinale einer Lieblingsserie? Wen es nicht stört, dass Antworten auf diese Fragen nicht zwangsläufig kanonisch sind, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Glück auf Seiten wie ArchiveOfOurOwn, fanfiction.net oder Wattpad finden. ArchiveOfOurOwn allein beherbergt derzeitig immerhin über fünf Millionen Werke. 

Älter als gedacht

Das Konzept ist nicht neu. Der Begriff „Fanfiction” wurde erstmals in den 1960er Jahren verwendet, um die Geschichten zu beschreiben, die Fans der Serie Star Trek in sogenannten Fanzines abdruckten. Doch nur, weil etwas keinen Namen hat, heißt es nicht, dass es etwas nicht gibt. Die Praxis, auf bestehenden Werken aufzubauen, um entweder die gleiche Geschichte erneut zu erzählen oder zu erweitern, gab es schon immer. Arthur Conan Doyles (Sherlock Holmes) Fans begannen zu seinen Lebzeiten ihre eigenen kleinen Fälle des Meisterdetektivs zu verfassen, nachdem die Serie in ihren Augen zu vorzeitig beendet wurde. Diese positive Rückmeldung war es, die Doyle schließlich dazu veranlasste, die Serie wieder aufzunehmen. 

An anderer Stelle waren es nicht die Bewunder:innen, die zum Genre, das wir heute Fanfiction nennen, griffen, sondern die Schriftsteller:innen. Shakespeares Romeo und Julia, wohl eines der bekanntesten Schriftstücke der Menschheitsgeschichte, basiert auf der griechischen Sage von Orpheus und Euridice – so wird es zumindest vermutet. Shakespeare nutzte die bereits bekannte Geschichte der beiden verdammten Liebenden und setzte sie in einen neuen Kontext.

Noch einen Schritt weiter geht die Auffassung, dass selbst das meistverkaufte Buch aller Zeiten zu einem großen Teil auf der Praxis von Fanfiction basiert: Die Bibel. Besonders im Neuen Testament wird ein und dieselbe Geschichte von verschiedenen Autoren zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommen, umgeschrieben und erweitert. Demnach könnte behauptet werden, dass alles, was nach dem Evangelium nach Markus, also dem wohl ältesten Text des Neuen Testamentes, kam, die Werke von Fans in einer Gruppe von Fans für andere Fans gewesen ist. 

Ein unfairer Ruf

Heute wird Fanfiction ungerechtfertigterweise zumeist mit Porno in Schriftform verglichen. Aktuelle Beispiele wie die Buchserien 50 Shades Of Grey oder After, die beide online als Fanfiction starteten, tragen zu dieser Auffassung bei. Um sich noch einmal Bo Burnhams Welcome to the Internet zu bedienen, „A bunch of colored pencil drawings of all the different characters in Harry Potter f*cking each other” ist nun mal nicht die ganze Geschichte. Explizite Inhalte kommen vor, wir befinden uns schließlich noch immer in den unergründlichen Weiten des Internets. Doch wer weiß, wo und wie zu suchen ist, und wer keine Angst davor hat, gelegentlich über Inhalte außerhalb der eigenen Komfortzone zu stolpern, der:dem steht eine gänzlich neue Welt der Literatur offen.

Autor*in

Janne ist seit 2019 Teil der Albrecht-Redaktion, zunächst als Leitung des Kulturresorts und Social Media, dann bis Anfang 2024 für ein Jahr als stellvertretende Chefredaktion.

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